Was wird den öffentlichen Nahverkehr 2023 bewegen?

Ausblick der Fachbeiratsmitglieder der Nahverkehrs-praxis auf das Jahr 2023.

Quantitative und qualitative Verbesserung des Leistungsangebotes hat oberste Priorität

Der Öffentliche Personennahverkehr befindet sich in einem Zeitenwandel: Als wichtiger Standortfaktor für Regionen ist er Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und muss anspruchsvollen Klima- und Umweltschutzzielen gerecht werden. Derzeit leidet er unter der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Inflation mit erheblichen Preissteigerungen im Bereich der Betriebs- und Personalkosten, die den Verkehrsunternehmen und den Aufgabenträgern finanziell zusetzen. Um in einem solchen Spannungsfeld die Verkehrswende vorantreiben und mehr Menschen für eine klima- und umweltfreundliche Mobilität gewinnen zu können, benötigt die Branche eine nachhaltige und auf Dauer angelegte Finanzierungsstruktur für den Erhalt und den Ausbau des ÖPNV-Angebotes.

Um die klimapolitischen Ziele erreichen zu können, ist eine quantitative und qualitative Verbesserung des Leistungsangebotes unabdingbar und hat oberste Priorität. Tarifinitiativen wie das 9 Euro-Ticket oder das Deutschlandticket stellen einen sicherlich mutigen Schritt in Richtung Klimaschutz dar, sind als alleinige Lösung aber nicht geeignet. Die grundsätzlichen finanziellen Herausforderungen, denen sich der ÖPNV stellen muss, lösen sie nicht. Vielmehr bedarf es einer umfassenden und nachhaltigen Finanzierungsregelung, die dem Dreiklang aus

– der qualitativen Bestandssicherung des Angebots,

-dem Ausbau des Nahverkehrs und einer Antriebswende

-sowie der Umsetzung des Deutschlandtickets mit gleichzeitigem Ausbau der Kundenservices gerecht wird.

Werden keine Finanzierungsregelungen gefunden, sind Diskussionen über eine Reduktion des Leistungsangebots unausweichlich. Dies wiederrum würde die Verkehrswende und damit den Klimaschutz negativ beeinflussen. Wenn die Branche ihren wichtigen Beitrag zur klimaneutralen Mobilität leisten soll, dann muss sie dazu auch finanziell in die Lage versetzt werden. Bereits klar ist, dass wenn das Deutschlandticket kommt, wird es auch zu einer nachhaltigen Tarif- und Vertriebstransformation kommen.

Priorisierung des ÖPNV

2023 wird für die Verkehrsunternehmen nicht weniger spannend und herausfordernd als die vergangenen drei Jahre. Zum einen prägen die Folgen der Corona-Pandemie nach wie vor die Fahrgastzahlen, die sich leider noch immer unter dem Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 befinden. Zum anderen sind die weiteren Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auch in der näheren Zukunft nur bedingt abschätzbar. In jedem Fall werden hohe Energiepreise, fehlende Rohstoffe und Produkte auch weiterhin die Entwicklung der gesamten Wirtschaft, aber auch jedes einzelnen Unternehmens prägen.

Wir nehmen die Herausforderung aktiv an. Wir müssen 2023 weiter intensiv an der Energie- und Verkehrswende arbeiten. Wir müssen mehr Menschen von den Vorteilen des ÖPNV wie auch des gesamten öffentlichen Verkehrs überzeugen. Die Menschen wünschen sich mehr Lebensqualität in ihrem unmittelbaren Umfeld. Dazu ist eine Verringerung des Verkehrs unabdingbar. Weniger Verkehr hat zudem positive Auswirkungen auf die Luftqualität, insbesondere aber auch auf das Klima.

Die Voraussetzungen für einen Umstieg auf Busse und Bahnen sind 2023 bestens. Dank des sehr günstigen Deutschlandtickets wird der ÖPNV für Neu- wie für langjährige Kunden und Kundinnen so günstig wie noch nie. Daseinsvorsorge drückt sich dann nicht nur in der Co-Finanzierung von Investitionen durch Bund und Länder aus. Es ist die Abkehr von einer stärkeren Nutzerfinanzierung, die insbesondere in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts politisch gewünscht war. Allerdings braucht der ÖPNV mehr als günstige Tickets. Die Investitionen in Anlagen und Fahrzeuge, aber auch in den laufenden Betrieb müssen künftig noch stärker durch die öffentliche Hand gefördert werden. Nur dann ist der Erhalt und Ausbau des Angebotes möglich. Denn das Angebot ist zuallererst entscheidend für die Verkehrsmittelwahl. Wir wissen, dass wir bei der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln mit vielen anderen wichtigen Lebensbereichen konkurrieren, benötigen aber für den Klimaschutz richtungsentscheidende und stärkende Entscheidungen.

Aufgaben lösen, statt über Finanzierung streiten

 Nicht erst das 9 €-Ticket hat im letzten Jahr gezeigt, dass die Menschen Bus und Bahn fahren wollen. Schon vor Corona konnte der ÖPNV über ein Jahrzehnt hinweg jedes Jahr einen Fahrgastrekord verbuchen. Stimmt das Angebot, dann steigen die Menschen in Bus und Bahn ein. Im neuen Jahr sind die zentralen Themen: 1. Zügige Umsetzung des 49 € Tickets bei gesicherter Finanzierung. Der weit überwiegende Teil der Bus- und Bahnfahrer wird davon finanziell profitieren, und alle profitieren von der Vereinfachung und der deutschlandweiten Gültigkeit des Tickets. 2. Weiterer Ausbau der Infrastruktur, weiterhin Dreh- und Angelpunkt der Verkehrswende. Digitalisierung der Infrastruktur erhöht in beachtlichem Maße die Verfügbarkeit der Infrastruktur, kann aber den Ausbau nicht ersetzen. Dafür braucht es nicht nur ausreichende Finanzmittel, sondern zunehmend schnellere politische Entscheidungsprozesse, eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz für Gleisinfrastruktur und, immer wieder, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. 3. Eine deutlich bessere Betriebsqualität. Nur dann wird die Verkehrswende gelingen. Nicht nur, aber in besonderem Maße, ist dafür eine gute leistungsfähige Infrastruktur die Voraussetzung. 4. Personalgewinnung. Last but not least: Preissteigerungen treffen auch den ÖPNV auf allen Ebenen. Statt dauernder Finanzierungsdiskussionen zwischen Bund und Ländern muss es einen Konsens für eine dauerhaft ausreichende Finanzierung des ÖPNV geben. Sonst bleibt die Verkehrswende auf der Strecke. Und das will niemand.

Entwicklung integrierter, vernetzter Verkehrssysteme

Wer hätte vermutet, dass der öffentliche Verkehr durch das kurzfristig eingeführte 9-Euro-Ticket so im Fokus der Aufmerksamkeit im Jahr 2022 stehen würde!? Das war nach den schwierigen Corona-Jahren auch sehr notwendig und hilfreich. Die Frage ist nun, wie kann sich aus dem „Sommermärchen“ und dem Ansturm auf den öffentlichen Verkehr eine dauerhafte Änderung im Mobilitätsverhalten ergeben? Auch im Jahr 2023 wird es weitere bedeutsame Veränderungen und Innovationen im ÖPNV geben. Zum Beispiel erwartet uns die Einführung eines so genannten Deutschlandtickets, welches digital erwerbbar und im Abonnement monatlich kündbar sein soll. Mit diesen Änderungen in der Preisgestaltung des ÖPNV soll das Reisen für alle zugänglicher und erschwinglicher gemacht werden. Hinzu muss auch die Qualität des Angebots weiter ein Schwerpunkt sein. Ein stärkerer Fokus sollte hierbei auf der Entwicklung von integrierten, vernetzten Verkehrssystemen liegen, um die Zugänglichkeit zum ÖPNV zu verbessern. Solche verbindlichen Investitionen in den Ausbau und die Verbesserung dieses umweltfreundlichen Verkehrsmittels sind notwendig als wichtiger Baustein der Mobilitätswende.

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Nahverkehrs-praxis 1-2023.

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