Verbraucherzentrale legt Vorschlag für einheitlichen ÖPNV-Tarif vor

Personen, die den ÖPNV nur gelegentlich nutzen und deshalb kein Deutschlandticket als Monatskarte besitzen, profitieren bislang noch nicht vom Vorteil eines bundesweit einheitlichen, sehr einfachen und verständlichen Tarifsystems für den ÖPNV. Um die gesellschaftliche Teilhabe der Bürger zu sichern und die Klimaziele zu erreichen, ist eine steigende Nutzung des ÖPNV erforderlich, teilt die Verbraucherzentrale in einer Mitteilung mit. Unübersichtliche Tarif- und Verkaufssysteme stellen jedoch nach wie vor eine Zugangsbarriere zum ÖPNV für die Bürgerinnen und Bürger dar: Sie stehen vor der Herausforderung, in einem gegebenenfalls unbekannten Verkehrsraum das passende Ticket in einem unbekannten Tarif- und Verkaufssystem zu finden und den korrekten Fahr-preis zu bezahlen. 

Im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands hat Ramboll Management Consulting ein neues, bundesweit einheitliches und intuitives Tarifsystem für Kunden entwickelt, welche den ÖPNV nur gelegentlich nutzen und für die sich der Kauf eines Deutschlandtickets als Monatskarte finanziell nicht lohnt. Das vorgeschlagene Tarifsystem orientiert sich vollständig am Grundprinzip des Erfolgsmodells Deutschlandticket. 

Die Kernpunkte im Überblick:

  • Künftig könnten Kunden Deutschlandtickets für deutlich kürzere Zeitspannen kaufen. Das Konzept sieht insgesamt fünf Zeitspannen zwischen 15 Minuten und 24 Stunden vor. 
  • Die Ticketpreise und Konditionen wären dabei bundesweit einheitlich: von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen gäbe es nur noch ein Tarifsystem für den ÖPNV. Fahrgäste müss-ten das Prinzip also nur einmal verstehen und könnten es dann auf den gesamten deut-schen ÖPNV übertragen. 
  • Kunden würden ihre Fahrkarte entweder per Check-in-/Check-out-App oder per bisher genutzter App oder analog kaufen, beispielsweise am Automaten.
  • Innerhalb des gebuchten Zeitraums könnte so viel und so weit gefahren werden, wie gewünscht und im Rahmen des Fahrplans schaffbar. Bis auf die deutschen Außengrenzen würden sämtliche räumliche Tarifgrenzen entfallen.
  • Ein fahrplanbasiertes Hintergrundsystem und eine automatisierte Prüflogik würden sicher-stellen, dass Verspätungen und Wartezeiten nie zu Lasten der Kunden gehen.
  • Alle digital gelösten oder mit Check-in-/Check-out gekauften 15-Min- und 30-Min-Tickets würden zu einem Monatspreis gedeckelt. Damit könnten die heute noch bestehenden kleinräumigen Monatskarten ebenfalls entfallen.
  • Der Tarif kann für die Verkehrsunternehmen in Summe erlösneutral ausgestaltet werden. Innerhalb der Branche wären jedoch Ausgleichsmechanismen zu etablieren, um Erlösverschiebungen auszugleichen.
  • Der vorgeschlagene Zeittarif könnte in einem Schritt analog und digital bundesweit ausgerollt werden, wodurch die Vorhaltung paralleler Tarifsysteme mit langen Übergangsphasen nicht erforderlich wären. 


Für Personen, die den ÖPNV nur gelegentlich nutzen, sieht das Tarifkonzept bundesweit einheitlich nur noch folgende fünf Tarifprodukte vor:  
1.    ein 24-Stunden-Ticket 
2.    ein 120-Minuten-Ticket 
3.    ein 60-Minuten-Ticket 
4.    ein 30-Minuten-Ticket 
5.    ein 15-Minuten-Ticket. 

Dies ermöglicht eine ausreichende Differenzierung für die unterschiedlichen Mobilitätsmuster der Bürgerinnen und Bürger, ohne dabei unübersichtlich zu werden. Die Umsetzung eines bundesweit gültigen Tarifsystems erfordert entweder einen hohen organisatorischen Aufwand zwischen den bestehenden Verkehrsverbünden oder eine gesonderte Vereinbarung zwischen den Bundesländern und dem Bund. Die hierfür notwendigen Strukturen wurden in Teilen bereits mit der Einführung des Deutschlandtickets geschaffen und könnten perspektivisch auch für Abstimmungen zum Gelegenheitstarif genutzt werden. Aufgrund der Systematik des Zeit-tarifs, bei dem lediglich die Außengrenzen der Bundesrepublik als räumliche Grenzen definiert sind, empfehlen wir die gleichzeitige und flächendeckende Einführung in allen Verbund- und ver-bundfreien Räumen.  

Der Tarif könnte für Verkehrsunternehmen in Summe erlösneutral ausgestaltet werden. Um eine über ganz Deutschland hinweg gesehen konstante Tarifergiebigkeit und in Summe erlösneutrale Umsetzung zu erreichen, ergibt eine erste Modellierung die in der Abbildung dargestellten Preise. Erlösverschiebungen – insbesondere zwischen dem Schienen- und dem Busverkehr – sind zu erwarten. Eine bundesweit anwendbare Einnahmeaufteilung zwischen den jeweiligen Erlösverantwortlichen wäre daher – vor der fahrgastseitigen Einführung des Tarifs – zwingend erforderlich.  

Vorschlag zur Ausgestaltung
Die Nutzung wäre sowohl über eine App mit bundesweiter Funktion zum Check-in am Anfang beziehungsweise Check-out am Ende der Fahrt möglich. Alternativ kann vor der Fahrt ein Ticket per Smartphone-App oder am Automaten gekauft werden. Wichtig dabei: Die Abrechnung der Fahrtzeit beginnt erst beim Einstieg in das erste Fahrzeug. 
Innerhalb der gebuchten Fahrtzeit kann die Fahrt beliebig oft unterbrochen werden, und es können beliebig viele Verkehrsmittel in alle Richtungen genutzt werden. Verspätungen oder Ausfälle gehen dabei nie zu Lasten der Fahrgäste.  
Der vorgeschlagene Zeittarif wäre analog und digital, anonym und mit Kundenkonto verkaufbar und mit analogen und digitalen Trägermedien nutzbar und damit für alle Bürger:innen leicht zugänglich. Die digitale Nutzung könnte u. a. durch Rabatte incentiviert werden. Um Vertrieb und Kontrollierbarkeit flächendeckend sicherzustellen, bedarf es einer technischen Umstellung der Vertriebs- und Kontrollinfrastruktur. 

Bestpreis und Kappung: Für digitale Kanäle mit Anbindung an ein Kundenkonto (Smartphone, ggf. Smartcard) sieht das Konzept optional eine Bestpreisabrechnung und eine Kappung der Maximalausgaben vor. Perspektivisch können damit die in vielen Verbünden immer noch bestehenden kleinräumigen Monatskarten in herkömmlicher Ring-/Zonen-/Wabenlogik komplett ersetzt werden. 
Ein einheitlicher Ermäßigungstarif für spezifische Personengruppen – etwa 50 Prozent des Regeltarifs – kann sehr einfach bundesweit umgesetzt werden und reduziert die Komplexität für Kund:innen erheblich.  

Im Gutachten betrachtete Alternativen:
Die entfernungsbezogene Tarifierung basierend auf Check-in/Check-out-Verfahren sowie eine bundesweite Vereinfachung und Vereinheitlichung von Tarifzonen (Flächentarif) wurden ebenfalls untersucht und bewertet. Sie wurden jedoch aufgrund der Anforderung des Auftraggebers, sowohl digital als auch analog verkaufbar zu sein, sowie aufgrund ihrer begrenzten bundesweit einheitlichen Umsetzbarkeit bzw. dem Systembruch zum be-stehenden Deutschlandticket, als weniger geeignet eingestuft.

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