Vor 35 Jahren, am 26. November 1990, rollte der erste Bus der Linie 100 durch Berlin. Was heute als festes Stück Stadtbild gilt und in jedem Berlin-Reiseführer steht, war damals ein mutiges Vorhaben – eine Linie zwischen Ost und West, als sichtbares Zeichen der Wiedervereinigung. Der 100er war zugleich Touristen-Attraktion, organisatorische Meisterleistung und frischer Impuls für das urbanisierte Berlin.
Um Punkt 7 Uhr startete an einem trüben Novembertag die Jungfernfahrt eines Busses der Linie 100. Damit war auch die erste Buslinie mit dreistelliger Liniennummer auf Berlins Straßen unterwegs. Der damalige Regierende Bürgermeister, Walter Momper, und der für den Ostteil der Stadt zuständige Oberbürgermeister, Tino Schwierzina, schickten den ersten Doppeldecker am Hardenbergplatz auf die Reise.
Die Linie 100 verbindet seitdem Highlights, die nicht nur Touristen begeistern: Gedächtniskirche, Siegessäule, Brandenburger Tor, Dom und Fernsehturm. Eine Panorama-Tour, die alle Facetten der Hauptstadt zeigt. Kein Wunder, dass sie von Anfang an zu den beliebtesten BVG-Linien gehörte und die Plätze in der ersten Reihe im Oberdeck des Doppeldeckers die vielleicht begehrtesten Sitzplätze im Berliner Nahverkehr waren.
Doch nicht nur die Route machte den 100er schon von Beginn an zu einer Besonderheit. Er war auch die erste Ost-West-Busverbindung nach der Wiedervereinigung. Ein Abenteuer für die Berliner, da viele den jeweils anderen Teil der Stadt nicht oder nicht mehr kannten. Ein Brückenschlag in einer Zeit, in der Tarife, Orientierung und Alltagslogistik neu verhandelt wurden.
Deshalb war die neue Linie auch ein kleines organisatorisches Wunder: zwei Verkehrsbetriebe, zwei Tarife, zwei Welten und doch eine gemeinsame Mission. Keine leichte Aufgabe vor allem für die Fahrer aus Ost und West, mussten sie sich doch plötzlich im jeweils anderen, unbekannten Teil der Stadt zurechtfinden. In den ersten Tagen musste gemeinsam navigiert werden, oft mit handgezeichneten Linienverläufen, bevor moderne Navigationsgeräte zum Einsatz kamen.
West-Berliner Fahrgäste zahlten 2,70 D-Mark fürs Ticket, Ost-Berliner*innen 20 Pfennige zwischen Mollstraße und Brandenburger Tor. Wer „rüber“ wollte, musste zwei D-Mark für einen „Grenz“-Fahrschein lösen. Bis Januar 1995 bestanden zusätzlich der West-„A-Tarif“ bzw. der Ost-„B-Tarif“, danach wurden die Tarifgrenzen aufgehoben.
Der 100er entwickelte sich weiter, ohne seinen Charakter zu verlieren. Am 26. Mai 1992 öffnete sich für ihn das Symbol der deutschen Einheit, das Brandenburger Tor. Noch bis zur Sanierung Anfang der 2000er-Jahre durften Autos und auch die Busse durch das Wahrzeichen fahren. Seit 2002 ist das nur noch zu Fuß oder mit dem Fahrrad gestattet.
1995 erlebte der erste niederflurige Doppeldecker auf Berlins bekanntester Buslinie seine Premiere und machte Sightseeing barrierefrei. Seit einigen Jahren dürfen wegen einer Gewichtsbeschränkung auf der Route keine Doppeldecker mehr eingesetzt werden. Doch bis heute ist die Linie 100 mehr als eine Verbindung zwischen Ost und West. Sie ist eine mobile Chronik, die zeigt, wie eine Stadt wachsen, sich neu ordnen und dennoch ihr historisches Gedächtnis bewahren kann. Hauptstadtgeschichte auf Rädern. Happy Birthday 100er.



