Fokus auf Kapazität, Qualität und praxisnahe Lösungen
Am 23. September wurde das 2017 aus der Universität Warschau hervorgegangene Startup Nevomo im Rahmen der Regionalkonferenz Mobilitätswende mit dem Future Mobility Award 2025 ausgezeichnet. Das Unternehmen überzeugte die Jury mit „MagRail“, einer innovativen Technologie zur Modernisierung bestehender Eisenbahnanlagen. Wir haben mit Stefan Kirch, Chief Commercial Officer von Nevomo, über die Hintergründe, die Entwicklung und die Zukunftsvision des Unternehmens gesprochen.
NahverkehrsPraxis: Herr Kirch, können Sie uns Nevomo bitte vorstellen?
Stefan Kirch: Wir sind ein Rail-Tech-Startup und entwickeln eine neue, mit der heutigen Infrastruktur kompatible Eisenbahntechnologie. Grundlage sind magnetische Antriebsmodule, die zwischen den bestehenden Schienen installiert werden. Sie erzeugen ein Magnetfeld, auf dem entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge nahezu schwebend fahren. Das System ist vollständig elektrisch, autonom und ideal für flexible, hochfrequente Nahverkehrsnetze. Auch im Güterverkehr, an Gleisanschlüssen sowie in Häfen und Logistikzentren bietet es erhebliche Effizienzvorteile. Langfristig streben wir damit sogar einen vollwertigen Magnetschwebebetrieb an – technisch bereits möglich, jedoch mit erheblichem Zeit-, Kosten- und Zulassungsaufwand verbunden.
NahverkehrsPraxis: Spannend. Wie und in welchem Zusammenhang ist die Idee entstanden?
Stefan Kirch: Das war 2017, als Elon Musk im Rahmen eines Wettbewerbs Studierendenteams weltweit einlud, Prototypen für sein Hyperloop-Konzept zu entwickeln. Ein Team der Technischen Universität Warschau gehörte damals zu den Gewinnern. Beim Versuch, den Hyperloop nach Polen zu bringen, hat sich jedoch schnell gezeigt, dass der Aufbau einer völlig neuen Infrastruktur zu aufwendig wäre. Also ließ man die Vakuumröhre weg und entwickelte einen Weg, die Magnetschwebetechnologie in bestehende Eisenbahnsysteme zu integrieren – die Geburtsstunde von Nevomo.
NahverkehrsPraxis: Und wer war daran beteiligt?
Stefan Kirch: Einer der Gründer ist unser heutiger CEO Ben Ponczek. Nach dem strategischen Pivot – weg vom reinen Magnetschweben hin zu unserem Magnetantrieb – haben die anderen technischen Mitgründer das Unternehmen verlassen. Die Vision blieb, doch als Start-up brauchen wir ein marktfähiges Produkt, um die Weiterentwicklung zu finanzieren.
Unser Gesamtteam umfasst heute 35 Personen, überwiegend Ingenieure. Das Technikteam sitzt in Polen, das kommerzielle Team in Frankfurt und Dubai, unser CEO in Lugano. Zukünftig werden wir auch Mitarbeitende in Tschechien haben. Wir verstehen uns als europäisches Rail-Tech-Startup – mit polnischen Wurzeln und rechtlichem Sitz in den Niederlanden. Ich selbst bin 2021 dazugestoßen. Zuvor habe ich 15 Jahre bei der Deutschen Bahn in Managementrollen gearbeitet, kenne die Herausforderungen der Branche und bin gut vernetzt. Als Chief Commercial Officer verantworte ich nun den Vertrieb unserer Technologie – von Kundengewinnung bis Onboarding – und treibe die Kommerzialisierung unseres ersten Produkts voran.
NahverkehrsPraxis: Gibt es schon einen Prototyp?
Stefan Kirch: Ja. Dieser wurde 2023 erstmals erfolgreich auf unserer 500 m langen Teststrecke in Polen erprobt. Dabei funktionierten sowohl der Magnetantrieb für Güterwagen als auch das Magnetschweben, mit Geschwindigkeiten bis 135 km/h – auf normaler Eisenbahninfrastruktur, auf der auch herkömmliche Lokomotiven verkehren können.
Derzeit bereiten wir die Technologie für die industrielle Serienfertigung vor. Ende 2024 haben wir mit der SNCF-Tochter Captrain unseren ersten Kundenvertrag unterzeichnet. ArcelorMittal in Bremen setzt die Technik im Güterverkehr ein, um einen Teil der Werksbahn zu automatisieren: Der Transport großer Stahlrollen zwischen zwei Produktionsstätten verkürzt sich von rund zwei Stunden auf sieben Minuten – vollautomatisch. Der große Wow-Effekt: Für die Logistik bedeutet die Technik Automatisierung, für den Personenverkehr mehr Kapazität und Flexibilität und perspektivisch im Fernverkehr bis zu 550 km/h.
NahverkehrsPraxis: Was sind die nächsten Schritte?
Stefan Kirch: Idealerweise würden wir die Technologie flächendeckend einsetzen – für die Umsatzplanung optimal, aber das technische und finanzielle Risiko wäre zu hoch. Daher starten wir mit kurzen Strecken. In einem Jahr werden wir mit diesem Ansatz zwei Projekte umgesetzt haben: das in Bremen und ein weiteres in einem indischen Hafen. In etwa drei Jahren erwarten wir die ersten Anwendungen im Personenverkehr – zunächst in Mischbetrieben, bei denen unsere Technik Engpässe auf bestehenden Strecken löst. Teilstrecken werden mit Magnettechnik ausgestattet, etwa unter Brücken, der Rest konventionell. So lässt sich die Kapazität direkt erhöhen, und unsere Lösung ist deutlich günstiger als neue Brücken oder Tunnel zu bauen. Das ist der entscheidende Vorteil unserer Technologie. Indem sie die bestehende Infrastruktur nutzt und effizient weiterentwickelt, schaffen wir sofort zusätzliche Kapazität und Verbesserungen für Gesellschaft und Umwelt – nachhaltiger, schneller und kostengünstiger als der Neubau.
NahverkehrsPraxis: Bleibt nach der Installation ein Team vor Ort bzw. wie läuft die Wartung?
Stefan Kirch: Wir haben zwei Geschäftsmodelle. Beim klassischen kauft der Kunde die Anlage, betreibt sie selbst und kann optional einen Wartungsvertrag abschließen. Alternativ bieten wir Rail-as-a-Service an: Wir stellen die Technik bereit, der Kunde investiert nichts. Den Wert der Technik messen wir an Einsparungen bei Personal, Lokomotiven oder Zeit – zum Beispiel von zwei Stunden auf sieben Minuten. Der entsprechende Gegenwert (z. B. 1 Million Euro) fließt an uns. So senkt der Kunde seine Kosten, während wir höheren wiederkehrenden Umsatz erzielen und die Kundenbindung deutlich stärken.
NahverkehrsPraxis: Und wie sieht die eigene Finanzierung aus – im Hinblick auf die weitere Entwicklung?
Stefan Kirch: Bisher wurden wir vor allem durch Fördermittel, Family Offices und vermögende Einzelpersonen unterstützt. Aktuell läuft eine größere Finanzierungsrunde, um auch professionelle Investoren einzubeziehen. Die Technikentwicklung, insbesondere Hardware, ist kostspielig und benötigt weitere Mittel, bis alle Zulassungen abgeschlossen sind. Für Werksbahnen ist das einfacher, Großprojekte wie bei der DB erfordern hingegen zusätzliche regulatorische Schritte. Daher planen wir, 10 Millionen Euro aufzunehmen, was uns eine Runrate von zwölf bis achtzehn Monaten ermöglicht, inklusive geplanter Kundenumsätze. Mit den ersten Verträgen sind wir zudem vom Pre-Revenue- zum Revenue-Startup geworden. Die hohe Investitionsintensität unserer Technik bedeutet zugleich schnelle Umsatzsteigerung: Das erste Projekt generiert bereits rund 6 Millionen Euro Umsatz.
NahverkehrsPraxis: Zum Abschluss: Gibt es sonst noch etwas, was Nevomo besonders macht und von anderen unterscheidet?
Stefan Kirch: Bei uns arbeiten junge, brillante Ingenieure mit erfahrenen Eisenbahnexperten zusammen. Die Erfahrenen wissen genau, welche Probleme gelöst werden müssen, die Innovativen entwickeln die passende Lösung – statt Lösungen für nicht vorhandene Probleme zu bauen. Das ist ein entscheidender Vorteil, denn die Eisenbahnbranche folgt klaren Regeln, z. B. im Ausschreibungswesen, und viele gute Ideen scheitern, weil dieses Know-how fehlt. Wir bringen es mit. Denn seien wir mal ehrlich: In Deutschland geht es derzeit weniger um 550 km/h oder Magnetschwebetechnik, sondern um Kapazität und Qualität. Genau hier setzen wir an, indem wir unsere skalierbare Technologie auf die realen Herausforderungen der Branche abstimmen.









