Interview mit Uwe Bittroff, Leiter Sparte Übergangssysteme für Straßenfahrzeuge und Dr. Stefanie Böge, Strategisches Management Übergangssysteme für Straßenfahrzeuge, Hübner GmbH & Co. KG
Nahverkehrs-praxis: Im Verkehrsbereich zeichnet sich eine Interview mit Uwe Bittroff, Leiter Sparte Übergangssysteme für Straßenfahrzeuge und Dr. Stefanie Böge, Strategisches Management Übergangssysteme für Straßenfahrzeuge, Hübner GmbH & Co. KG Entwicklung sehr stark ab: Immer mehr Menschen nutzen den ÖPNV. Das ist auf der einen Seite begrüßenswert, auf der anderen Seite stellt sie Verkehrsunternehmen vor das Problem, diese steigende Zahl an Fahrgästen auch angemessen zu transportieren. „High Capacity Busse“ werden als eine Lösung genannt. Gemeint sind damit Busse über 30 m Länge. Wie sehen Sie das?
Dr. Böge: Bereits seit dem Jahr 2004, also lange vor der aktuellen Klimadebatte, haben wir uns anknüpfend an das Thema „Bus Rapid Transit“ Gedanken über den Umstand gemacht, dass bisher maximal Doppelgelenkbusse für BRT eingesetzt werden können – die aber aufgrund steigender Kapazitätsanforderungen vor allem im Ausland immer länger werden sollen. So hat Volvo mittlerweile auch schon einen Bus entwickelt, der über 27 m lang ist.
In jüngster Zeit ist jedoch zu beobachten, dass Verkehrsunternehmen mit derart langen Bussen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Es muss also relativ schnell eine Lösung für die notwendige Kapazitätserhöhung gefunden werden, die sich an die vorhandenen Gegebenheiten besser anpassen kann.
Bittroff: Straßen- und Stadtbahnsysteme sind zum einen sehr teuer, zum anderen aber auch nicht schnell zu realisieren. Man muss von der Planung bis zur Einführung teilweise zehn bis 15 Jahre einkalkulieren. Bei einem Bussystem klappt es hingegen oftmals schon in drei bis fünf Jahren – das kann für eine Kommune ein durchaus gewichtiges Argument sein. Deshalb haben wir uns in vergangenen Jahren verstärkt damit beschäftigt, wie längere Bussysteme aussehen könnten, vor allem in Bezug auf Fahrzeuggeometrie und -dynamik.
Für ein über 30m langes Fahrzeug werden – im Gegensatz zum Doppelgelenkbus – spezielle elektronische Lenksysteme benötigt. Aktuell haben wir einen Teststand beim Fraunhofer-Institut IVI in Dresden aufgebaut, mit dem wir nicht nur Fahrten simulieren, sondern aktiv Lenkungen und Achsen auf die Funktionsweise überprüfen. Das IVI ist für uns dabei der natürliche Entwicklungspartner, da wir mit den Forschern in Dresden seit Jahren intensiv in diesem Bereich zusammenarbeiten. Wir sind zuversichtlich, bald eine marktfähige Lösung vorweisen zu können.
Nahverkehrs-praxis: Wie sieht diese Lösung aus?
Bittroff: Die Kosten für eine solche elektronische Lenkung übertreffen die Kosten für ein Gelenk deutlich und vor
allem kleinere Bushersteller können die Entwicklungskosten nicht stemmen. Wir gehen daher mit unserem Lenksystem in Vorleistung, entwickeln eine möglichst standardisierte Lenkung und bereiten diese soweit vor, dass ein Kunde mit einem überschaubaren Adaptionsaufwand damit einen langen Bus bauen kann.
Dr. Böge: Dafür müssen wir dem Kunden beispielsweise erklären, welche Achsen dafür geeignet sind, welche Steuergeräte und Sensorik er benötigt. Standardisierte Teile kann er
weiterhin kaufen, wo immer er möchte, und Hübner bietet ihm dann die eigentliche Lenkungskomponente an. Wir haben eine Vorauswahl von möglichen Bauteilen für eine Art Baukasten zusammengetragen, aus dem der Kunde letztendlich wählen kann. So ertüchtigen wir auch kleinere Hersteller, selber einen mehrgliedrigen Gelenkbus zu entwickeln.
Bittroff: Auch auf dem Gelenkmarkt sind wir so vorgegangen. Hier bieten wir bereits seit Mitte der 1990er-Jahre Komplettsysteme mit Gelenk inklusive Stromführung und Faltenbalg an. Denn es hat sich auch hier gezeigt, dass zwar die großen Bushersteller von ihren Kapazitäten her in der Lage sind, dies selber zu entwickeln, es aber eine große Zahl kleinerer bis mittelgroßer Hersteller gibt, die das nicht leisten können. Denn die Entwicklung solch einer Sonderkomponente passt für den Bau kleiner Stückzahlen nicht in den vorgesehenen Budgetrahmen. Das ist wirtschaftlich nicht darstellbar.
Dr. Böge: Wir passen die Komponente an die jeweiligen Anforderungen an, und somit kann jeder Hersteller Gelenkbusse produzieren. Diese Verbindung von Gelenk, Stromführung und Faltenbalg hat uns in eine momentan recht gute Marktposition gebracht. „Wir liefern 1,60 Meter Bus“ – damit werben wir nicht umsonst. Die Hersteller bekommen von uns eine Gesamtlösung im Plug-and-Play-Format. Anschrauben und fertig.
Nahverkehrs-praxis: Haben Bushersteller die Möglich-keiten von High Capacity Bussen denn bereits realisiert?
Bittroff: Noch nicht in vollem Umfang, nein. Aber Straßenbahnhersteller nehmen sich dieses Themas an, vor allem chinesische. CRRC (China Railway Rolling Stock Corporation) ist da ganz vorne mit dabei. Sie haben das Potenzial von Straßenbahnen erkannt, die keine Schienen benötigen. Es werden also keine überlangen Busse hergestellt, sondern Straßenbahnen auf Rädern. Die Hersteller, die Erfahrung sowohl mit dem Bau von Schienenfahrzeugen als auch von Bussen haben, halten den Schlüssel zum Erfolg in der Hand. Die Kombination von beidem wird in der Zukunft entscheidend sein.
Dr. Böge: Auf der „Busworld 2017“ haben wir in einem Video unser Konzept für High Capacity Busse bereits erklärt. In den Gesprächen zeigte sich, dass dies für Bushersteller nur ein
Nischenprodukt ist, für die Straßenbahnhersteller hingegen eine mögliche Weiterentwicklung der Straßenbahn darstellen kann.
Nahverkehrs-praxis: Welche besonderen Herausforderungen gibt es bei der Entwicklung so eines Lenksystems?
Bittroff: Einen langen Bus um Kurven zu lenken, ist technisch kein großes Problem mehr. Die notwendigen Algorithmen sind bereits entwickelt. Die wirkliche Hürde für uns besteht in der Entwicklung eines Systems, das, selbst wenn es eine Störung aufweist, weiterhin sicher beherrschbar bleibt. Wenn bei sechs gelenkten Achsen nur eine nicht in die richtige Richtung will, kann das sehr schnell zu einer Gefährdungssituation führen. Das System muss also so entwickelt sein, dass bei Störungen keine Gefahr für die Fahrgäste im Fahrzeug entsteht. Alle Systeme, die heute bereits eingesetzt werden, befinden sich noch auf der Versuchsebene. Wir werden unser Produkt erst dann in den Verkehr bringen, wenn ein ausreichendes Sicherheitslevel vorhanden ist. Dafür bedarf es eines längeren Entwicklungsprozesses.
Nahverkehrs-praxis: Wo sehen Sie die Märkte für High Capacity-Fahrzeuge?
Bittroff: Unsere deutsche Infrastruktur ist für solche Fahrzeuge nur in sehr seltenen Fällen ausgelegt. Städte, die schnell große Transportkapazitäten im öffentlichen Verkehr anbieten wollen und die dafür notwendige Infrastruktur erst noch errichten müssen, befinden sich in der Regel im Ausland.
Dr. Böge: Zum Beispiel in Südamerika, der Wiege der Bus-Rapid-Transit-Systeme. Dort hat sich BRT schneller als erwartet mit großem Erfolg etabliert, aber inzwischen gibt es auch dort Kapazitätsengpässe.
China ist zurzeit der größte Markt für diese Fahrzeuge, denn in den dortigen, am Reißbrett entstehenden Mega-Städten wird die nötige Infrastruktur für Großraumfahrzeuge gleich mitgedacht. Nicht umsonst kommen Anfragen, solche Fahrzeuge zu realisieren, bisher von dort. An allen Projekten, die momentan dort realisiert werden, ist Hübner mit seinen Produkten beteiligt.
Nahverkehrs-praxis: Wann rechnen Sie mit der Einführung von High Capacity Fahrzeugen?
Bittroff: Wir wollen im kommenden Jahr starten, mit einem Hersteller den ersten Prototypen für ein sicheres Fahrzeug auf die Räder zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass in drei Jahren, nach allen nötigen Tests, ein Fahrzeug marktfähig sein kann – nicht früher. Alles andere halte ich für leere Versprechen, die nicht eingehalten werden können, wenn das Fahrzeug betriebssicher sein soll.
Nahverkehrs-praxis: Vielen Dank für das interessante
Gespräch.