Interview mit Stefan Sahlmann, Leiter MAN Transport Solutions.
Nahverkehrs-praxis: Herr Sahlmann, deutsche Verkehrsunternehmen zögern noch, den Wandel in ihren Fahrzeugflotten von Dieselbussen hin zu Elektrobussen einzuleiten, weil sie z.B. noch Fragen in Bezug auf Anschaffungskosten, Batterielebensdauer, Energiewirtschaft, Batterie- und Ladetechnik oder Betriebshofmanagement haben. Wie kann MAN Transport Solutions den Unternehmen da helfen?
Sahlmann: Den Verkehrsunternehmen ist inzwischen bewusst, dass der Umstieg auf Elektrofahrzeuge deutlich mehr beinhaltet, als die Beschaffung eines Fahrzeuges mit neuer Antriebstechnologie. Denn es kommt hier ja schon fast zu einem Paradigmenwechsel in Hinblick darauf, dass fast alle Bereiche des Systems Busflottenbetrieb betroffen sind. Das birgt viele offene Fragen, die sich nicht jeder Betrieb selbst beantworten kann. Da die Antworten sehr individuell ausfallen, kann man sich auch nicht an anderen Unternehmen orientieren. Da setzen wir an. MAN bietet den Verkehrsbetrieben eine ganzheitliche Beratung – wir nennen das 360°-Beratung – in der wir alle Fragestellungen aufgreifen und auf einer individuellen Basis für den Kunden in Form eines Konzeptes ausarbeiten, was der Umstieg auf Elektrobusse für ihn bedeutet.
Das beginnt mit einer Machbarkeitsanalyse der heutigen Fahrzeugeinsätze: Wo kann ein Dieselbus 1:1 von einem E-Bus ersetzt werden, wo benötige ich gegebenenfalls eine Adaption der Routen und Routenlänge sowie der Fahrpläne, wo muss ich mehr Fahrzeuge einplanen als in der Vergangenheit aufgrund von Reichweitenrestriktionen oder geringeren Transportleistungen? Das führt dann direkt zu der Frage, welche Ladestrategie für den Kunden und seine spezifischen Anwendungen notwendig und sinnvoll ist, und welche Lade-infrastruktur daraus resultiert – also welche Ladepunkte und Ladeleistungen benötigt werden.
Wenn ich dann bei der Frage angekommen bin, wie viele Fahr-zeuge gleichzeitig geladen werden sollen und wie ich den Vorgang intelligent steuere – dass sie möglichst versetzt zueinander geladen werden, weil das den Spitzenenergiebedarf der Flotte bestimmt – dann sind wir bei den Möglichkeiten zur Sicherstellung der notwendigen Energieversorgung angelangt. Dabei ist ein wichtiger Punkt, der große Vorteile gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bietet, dass hier die Energiekosten deutlicher günstiger sind. Der Kunde bekommt von uns alle Optionen aufgezeigt, wie er seine Energiekosten optimieren kann.
Das Ganze mündet in der Betrachtung, wie weit Depot- und Wartungsbereichprozesse geändert werden müssen und welche neuen Qualifizierungen gerade für das Werkstattpersonal erforderlich sind. All diese Bereiche werden von unserer „360°-Beratung“ abgedeckt.
Nahverkehrs-praxis: Wie gehen Sie bei der Beratung vor, es haben ja nicht alle Verkehrsunternehmen dieselbe Ausgangslage?
Sahlmann: Wenn schon Erfahrungen aus dem Straßenbahnbereich oder mit Oberleitungsbussen vorhanden sind, können wir in eine weiter fortgeschrittene Phase der Beratungsleistungen einsteigen. Denn mir sitzt ein Gesprächspartner gegenüber, der das Grundverständnis für Elektromobilität bereits mitbringt. Generell gilt aber, dass es immer wichtig ist, eine individuelle Analyse auf Basis der vorherrschenden Parameter durchzuführen. Welche Routenlängen und Transportkapazitäten werden gefordert, welche Topographie herrscht vor, ist es reine Innenstadt, oder sind auch Linien dabei, die einen Überlandcharakter mit weniger Haltestellen und somit größeren Haltestellenabständen sowie längeren Teilstrecken besitzen? Das ist die Grundvoraussetzung für ein belastbares Konzept.
Nahverkehrs-praxis: Ist diese Beratung unabhängig vom gewählten Fahrzeughersteller?
Sahlmann: Bei Beginn der Beratung hat sich das Unternehmen in der Regel noch nicht für eine bestimmt Marke entschieden, es möchte ja erst einmal erfahren, was der Umstieg auf Elektrobusse für ihn bedeutet. Natürlich möchten wir als MAN uns als kompetenten und verlässlichen Partner auch für den Bereich Elektromobilität präsentieren und bieten dafür unseren MAN Lion’s City E an. Aber grundsätzlich ist die Beratung im ersten Schritt markenneutral, da nur bestimmte Leistungsparameter der Fahrzeuge in der Simulation zugrunde gelegt werden.
Nahverkehrs-praxis: Wo sehen Sie bei den Verkehrsunternehmen den größten Informationsbedarf?
Sahlmann: Eigentlich bei der Grundfrage: Welche meiner Linien kann ich sinnvoll mit Elektrobussen ausrüsten? Unser Transport Solutions Team wendet da ein standardisiertes Verfahren an, bei dem die notwendigen Daten des Kunden erfasst werden. Dafür verwenden wir Tools, die der Kunde teilweise auch in seiner Betriebssoftware nutzt. Wir modellieren mit den Informationen sein Netzwerk auf die Komponente „Elektrofahrzeug“ um. Dabei kommen oft die Fragen auf: Wie ist das Verhältnis von mehr Fahrzeugen zur Ladeinfrastruktur und welche Kosten beinhaltet das? Denn das ist mitentscheidend für die Gesamtkosten des Betriebs. Wir können da das Verhältnis zwischen Investitions- und Betriebskosten aufzeigen: Schafft sich das Unternehmen mehr Ladestationen an als eigentlich mindestens notwendig wären und hat damit eine größere Flexibilität bei der Ladeplanung der Busse? Oder will es die Investitionskosten geringhalten, ist damit weniger flexibel und hat dann somit weniger Möglichkeiten die Betriebskosten zu optimieren? Mit unserem standardisierten Verfahren wird dem Betrieb die Möglichkeit gegeben zu entscheiden, ob er die Mittel hat, die Vorabinvestition zu tätigen, oder ob eventuell zu einem späteren Zeitpunkt Ladestationen hinzukommen sollen.
Nahverkehrs-praxis: Diese Beratung bieten Sie ja jetzt schon einige Zeit an. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen, wie wird das Angebot angenommen?
Sahlmann: Das Interesse an der Beratung ist sehr groß. Gerade die Betrachtung der ganzheitlichen Thematik „Elektromobilität“ – also nicht nur die Fokussierung auf das Fahrzeug, sondern auf das ganze System –, kombiniert mit der individuellen Ausrichtung der Beratung, ist für den Kunden ein sehr hilfreiches Angebot. Wir haben inzwischen mehr als 60 Projekte in ganz Europa durchgeführt, wobei da auch Beratungen für Van und Lkw enthalten sind. Speziell für Busse waren es in etwa 50. Davon macht Deutschland ungefähr 40% der Fälle aus. Die anderen Anfragen kamen aus Norwegen, Schweden, Dänemark, Benelux, Schweiz, Frankreich, Österreich, Spanien, Italien und Polen.
Nahverkehrs-praxis: Hybridbusse werden als Übergangstechnik vom Diesel- zum Batteriebus gesehen. Jetzt bietet MAN Hybridbusse mit EfficientHybrid an. Worin liegt der Unterschied zum „alten“ Hybridbus (A37), und kann das eine Alternative für Verkehrsunternehmen sein, die noch nicht auf Elektrobusse umsteigen wollen?
Sahlmann: Das Thema Hybridisierung ist für einige Unternehmen sicherlich eine interessante Alternative, um einen Zwischenschritt zu machen. Nicht jede Strecke ist für eine Elektrifizierung geeignet, weil sie beispielsweise nicht in einem sensiblen Innenstadtbereich verläuft, in dem das Thema „Emissionen“ besonders gravierend ist. Oder die Busflotte soll erneuert werden, der Elektrobusanteil aber nicht im selben Umfang ansteigen soll, weil man sich damit noch etwas Zeit lassen will. Dann ist die Frage, wenn ich neben den ersten E-Bussen auch noch Busse mit Verbrennungsmotor anschaffen will, sollen es reine „Verbrenner“ sein, oder sollen sie auch mit einer Hybridtechnologie versehen sein? Dafür bieten wir die passende Lösung an.
Das System des EfficientHybrid hat als Primärziel, die Effizienz des Antriebsstrangs zu steigern, indem er Kraftstoff sowohl in der Diesel- als auch der Gasvariante einspart. Zudem hat der Lion’s City EfficientHybrid als einziger Bus seiner Art eine Stopp-Start-Funktion, so dass das Fahrzeug im Haltestellenbereich und an Ampeln ausgeht. Dort entstehen keine Emissionen, auch nicht was den Lärm betrifft. Die Kombination aus Effizienz und Stopp-Start-Funktion macht das Fahrzeug interessant, auch weil sich seine Anschaffung recht schnell amortisiert. Innerhalb von ca. vier Jahren bekommt ein Unternehmen allein durch die Kraftstoffersparnis den Aufpreis wieder herein. Das ist für Verkehrsbetriebe, die Hybrid als Übergangstechnologie zum E-Bus betrachten, eine aktuell sinnvolle Alternative.
Nahverkehrs-praxis: Im Herbst dieses Jahres soll die Novelle der „Clean Vehicle Directive“ der EU kommen. Lässt sich schon einschätzen, was die verschärfte Vorgabe aus Brüssel für Auswirkungen auch auf die Zukunft von Hybridbusse haben wird?
Sahlmann: Das Portfolio von MAN deckt alle Anforderungen, die die „Clean Vehicle Directive“ aufstellt, komplett ab. Was speziell den Hybridbus angeht, der in der CVD ja nicht gefordert wird, legen die Entscheidungsträger in den Städten großen Wert darauf, sich damit rechtfertigen zu können, dass sie zwar „nur“ Hybridbusse anstelle von E-Bussen gekauft haben, damit zumindest aber eine sehr saubere Technologie angeschafft haben. So unterstützt die CVD den Hybridbus zusätzlich.
Nahverkehrs-praxis: Wann wir der erste MAN Lion’s City E an einen Kunden übergeben, und ab wann wird er serienmäßig produziert?
Sahlmann: Die beiden ersten Fahrzeuge werden Ende 2019 an die Hamburger Hochbahn und die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein übergeben. Dabei handelt es sich noch um Kundenerprobungsfahrzeuge, die kurz vor dem Serienstart die Praxistauglichkeit des E-Busses bestätigen sollen. 13 weitere Testfahrzeuge werden im Jahr 2020 an Kunden in Deutschland und Europa ausgeliefert. Im Oktober 2020 soll die 12-Meter-Variante des Lion’s City E dann in die Serienproduktion gehen. Der 18-Meter-Bus hat seinen Serienstart im April 2021, so dass Verkehrsbetriebe in relativ kurzem Abstand mit beiden Fahrzeuglängen planen können.
Der erste Auftrag für den Kauf von 17 Fahrzeugen ist von den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein eingegangen, die Fahrzeuge werden Ende 2020 ausgeliefert.
Nahverkehrs-praxis: Was können Sie uns zur Preisentwicklung des Elektrobusses sagen?
Sahlmann: Man geht davon aus, dass die Preise für Batterien sinken werden, wenn die Produktion zunimmt und die Skaleneffekte wirken. Da die Batterieentwicklung noch ziemlich am Anfang steht, haben wir relativ kurze Entwicklungszyklen. Das bedeutet, in kurzen Abständen werden neue Batterien und Zelltypen verfügbar sein, was zusammen zu einer höheren Leistung führen wird. Das muss aber nicht unbedingt einen sinkenden Batteriepreis bedeuten, weil die Kostenvorteile neu entwickelter Batterien durch den Wunsch nach größerer Leistung wieder egalisiert werden. Es ist daher nicht vorherzusehen, ob Elektrobusse wegen kostengünstigerer Batterien insgesamt billiger werden.
Wichtiger bei der Betrachtung der e-Buspreise sind deshalb die anfallenden gesamten Betriebskosten eines Unternehmens. Darauf weisen wir in unserer Beratung auch immer hin. Der Betrieb hat zwar anfänglich bei der Beschaffung höhere Investitionskosten als beim Dieselbus und es fallen zusätzliche Ladeinfrastrukturkosten an. Vergleicht man aber die Betriebskosten, also die deutlich geringeren Energiekosten pro gefahrenen Kilometer, gehen wir mittelfristig von einer Angleichung bei Diesel- und Elektrobussen aus.
Nahverkehrs-praxis: Wie wird nach Ihrer Ansicht die weitere Entwicklung im Elektrobusbereich verlaufen?
Sahlmann: Im Bereich des ÖPNV zeichnen sich ganz klare Tendenzen ab. Die Beschaffung und der Einsatz von Elektrobussen ist inzwischen gut planbar, so dass Verkehrsunternehmen abschätzen können, ob die Umstellung machbar und sinnvoll ist. Wir gehen für die Zeit ab 2020/2021 von einem spürbaren Anstieg der Beschaffungen aus. Ab zirka 2026 rechnen wir – was den Absatz in Europa angeht – mit einem Anteil von 50% für Fahrzeuge mit Elektroantrieb.
Nahverkehrs-praxis: Gibt es bei MAN Überlegungen oder sogar schon Planungen dazu, wie alte, für den Einsatz in Bussen nicht mehr taugliche Batterien, umweltfreundlich entsorgt oder weiterverwendet werden könnten?
Sahlmann: Wir denken über das eigentliche Elektrofahrzeug hinaus. Das zeigt sich nicht nur in der Transport Solutions, sondern wir erforschen auch neue Ansätze. Wir realisieren beispielsweise mit unserem Kunden Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein einen Batteriespeicher aus Gebrauchtbatterien (Anm. d. Red.: Nahverkehrs-praxis wird in einer späteren Ausgabe darüber berichten). Der wurde bereits an die VHH geliefert und soll in den nächsten Monaten in Betrieb gehen. Damit wollen wir die Potenziale aufzeigen, die möglicherweise in einer Zweitanwendung von Batterien stecken und dazu führen könnten, den ganzen Batterieeinsatz nachhaltiger zu gestalten und die Energiekosten eines Verkehrsunternehmens weiter zu optimieren. Beispielsweise durch Zwischenspeicherung von selbsterzeugter Solarenergie, die dann zur Übernachtaufladung der E-Busse verwendet werden könnte.
Nahverkehrs-praxis: Herr Sahlmann, vielen Dank für das Gespräch.
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