Führung als Balanceakt

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist vor allem eine kulturelle Herausforderung.

Sofern Sie in einer Führungsposition sind, haben Sie sich sicher irgendwann mit der Frage befasst, was Ihre Rolle von Ihnen verlangt und was eine gute Chefin, einen guten Chef ausmacht. Sofern Sie zu dem erfreulichen Schluß gekommen sind, eine Naturbegabung in Sachen Führung zu sein, waren Sie vermutlich schnell durch mit Ihren Überlegungen. Vielleicht haben Sie gedacht: Na, das kriege ich schon hin. Oder: Leute, so schwer ist das doch nicht!
Sollten Sie aber bei einer genaueren Prüfung Ihrer persönlichen Voraussetzungen für diese Aufgabe zu der Überzeugung gelangt sein, dass ein wenig Ertüchtigung in der Sache nicht schaden könne, so haben Sie sich wahrscheinlich im Lauf Ihrer Karriere der ein- oder anderen Bildungsmaßnahme unterzogen. Sie haben ein empfohlenes Buch gelesen oder vorgeschriebene betriebliche Qualifikationsrunden gedreht. Sie sind mittlerweile in einschlägigen Themen bewandert. Sie wissen beispielsweise, wie man ordentliche Zielvereinbarungen schließt, wie man kritische Gespräche übersteht, Feedback-Runden regelkonform gestaltet. Sie wissen, wie man aktives Zuhören praktiziert, wofür man Scrum Boards nutzt und Sie können, aus dem Tiefschlaf geweckt, noch in der Horizontalen die Vor- und Nachteile eines situativen Führungsstils erläutern.
Schön und gut. Es kann nie schaden, über gutes Handwerkszeug zu verfügen, wenn man zu Werke geht. Aber reicht das, um ein neues Haus zu bauen? Die Aufgabe von Führungskräften ist es, den unaufhaltsamen digitalen Umbau unserer Gesellschaft und Wirtschaft mitzugestalten und ihn für die Unternehmen und für die Menschen, die in ihnen arbeiten, produktiv werden zu lassen. Das klingt nach einem goßen Projekt. Aber nicht nach einem für die grüne Wiese. Die Herausforderung, vor der wir in unserem Land stehen, nennen Architekten Bauen im Bestand. Und wenn Sie sich nach Vorbildern umschauen, die zeigen, wie das funktioniert, hilft es schonmal nicht, auf die Helden des Silicon Valley zu starren.
Der typische Unternehmer dort beginnt zwar in einer Garage, aber er baut sie nicht weiter aus. Vielmehr erschafft er irgendwann irgendwo im Valley ein spektakuläres Hightech-Gebäude, dem er dann einen ganz unspektakulären Namen gibt, wie zum Beispiel Apple Park oder MPK20. Überhaupt münden Vergleiche mit den Möglichkeiten und Vorzügen des Silicon Valley meist nur in eine frustrierende Aufzählung all der Defizite, die wir gegenüber der digitalen Avantgarde haben. Das ist nicht hilfreich. Hilfreich wäre ein Diskurs darüber, wie es auch unter den bei uns gegebenen Bedingungen gelingt, mitzuhalten. Zwei Fragen sollten in diesem Diskurs nicht unbeantwortet bleiben:
1. Wie machen wir als Unternehmen mit, ohne uns selbst zu verlieren?
1. Wie wahren wir die rechte Balance zwischen Mensch und Maschine?
Natürlich hängen beide Themen eng zusammen. Führungskräfte, die die erste Frage beantworten wollen, sollten sich vielleicht zunächst daran erinnern, dass das grundlegende Bedürfnis der ihnen anvertrauten Menschen, als Individuen mit spezifischen Talenten anerkannt zu werden, im Alltag Selbstwirksamkeit zu spüren und als soziales Wesen Zugehörigkeit und Verbundenheit zu erfahren, sich in den letzten Jahren keineswegs verändert hat. Wer Führungsverantwortung trägt, ist diesem Bedürfnis mindestens ebenso verpflichtet, wie der Aufgabe, digitale Möglichkeiten zu erkennen und sie auf Geschäftsziele zu adaptieren.
Deshalb geht es darum, eine Unternehmenskultur zu fördern, in der immer wieder offen über das Spannungsfeld gesprochen werden kann, das zwischen beiden Ansprüchen entsteht. Wir alle kommen um Innovationen, die ihren Ursprung im Silicon Valley haben, nicht herum. Es wäre fahrlässig, sie zu ignorieren. Wir müssen neue Technologien kennen, prüfen, auch nutzen. Aber wir müssen uns dabei nicht an der Kultur des Silicon Valley orientieren, die darin besteht, alles was erdacht und entwickelt wird, als einen Segen für die Menschheit zu feiern – während es in Wirklichkeit um den (finanziellen) Segen für einige wenige geht.

Den kompletten Beitrag lesen Sie in der Nahverkehrs-praxis 09-10/-2021, zum Beispiel in der digitalen Ausgabe oder bestellen Sie das Einzelheft hier. Wählen Sie dazu die Ausgabe “09-10/2021 aus”. Bitte beachten Sie auch das zugehörige Special zum VDV-Personalkongress.

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