Wissenschaftliche Einschätzungen zum Deutschlandticket

Das Deutschlandticket ist auf dem Weg. Von Mai an sollen die Bürger für 49 Euro im Monat den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im ganzen Land nutzen können. Doch ein Verkaufsschlager wie das 9-Euro-Ticket wird das Deutschlandticket nach Einschätzung von Wissenschaftlern nicht. Fachleute erwarten dadurch einen Anreiz nur für bestimmte Personengruppen, das Auto stehen zu lassen.
In Befragungen im November und Dezember 2022 haben nur etwa 15 Prozent angegeben, das Deutschlandticket regelmäßig kaufen und nutzen zu wollen, sagte Mark Andor vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, gegenüber der Wissenschaftsredaktion Science Media Center. Weitere 10 Prozent der Befragten seien noch unentschieden gewesen. Die allermeisten wollen das digitale Ticket wahrscheinlich eher nicht abonnieren. Der Verkehrsforscher Gernot Liedtke von der Technischen Universität Berlin ergänzt, Gespräche mit Käufern des 9-Euro-Tickets deuteten darauf hin, dass vielen Gelegenheitsnutzern von Bus und Bahn der Preis für das neue 49-Euro-Ticket zu hoch sei. Er geht davon aus, dass alle Zeitkartenbesitzer das Deutschlandticket abonnieren werden. Manche, die den Nahverkehr einige Male im Monat nutzen, würden von Einzelfahrkarten auf das 49-Euro-Ticket wechseln und danach häufiger auf Autofahrten verzichten: „Hier findet die hauptsächliche Entlastungswirkung für die Umwelt statt.“
Der Verkehrswissenschaftler Jan Schlüter von der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Holzminden, rechnet ebenfalls nicht damit, dass das Deutschlandticket an den Erfolg des 9-Euro-Tickets anknüpfen kann: „Mit der Preisgestaltung des 49-Euro-Tickets verschiebt sich die Zielgruppe, da der festgesetzte Preis von 49 Euro die Gelegenheits- und Impulskäufer voraussichtlich ausschließt.“
Ähnlich sieht das der Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB): „Unsere Forschungen haben ergeben, dass 29 Euro für einen Monat ein Preis wäre, bei dem die allermeisten Verkäufe zu erwarten wären. Jedenfalls sind 49 Euro zu teuer, um wirklich einen großen Durchbruch zu schaffen.“
Zu CO2-Einsparungen mithilfe des Deutschlandtickets sagte Liedtke, wenn man davon ausgehe, dass die bisher sporadischen Nahverkehrsnutzer demnächst häufiger das Auto stehen lassen, könne man 2 Millionen Tonnen als obere Grenze für CO2-Einsparungen im Jahr annehmen. Wahrscheinlich seien Einsparungen in der Größenordnung von einer Million Tonnen im Jahr.
Starke Mobilitätsverlagerungen seien allenfalls bei Pendlern mit guter Anbindung zu erwarten, so die Einschätzung von Ökonom Andor. Diese Gruppe sei aber zu klein, um substanzielle Mengen an Treibhausgasen einzusparen. Sollte sich hingegen ein 29-Euro-Ticket durchsetzen, das auch den Fernverkehr und ein Anruf-Sammeltaxi für die letzte Meile beinhaltet, könnte laut Mobilitätsforscher Knie rund ein Drittel der jetzigen Autofahrten auf den öffentlichen Verkehr verlagert werden.

Quelle: faz.net

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