Ausblick des Nahverkehrs-praxis Fachbeirats auf das Jahr 2024

Die Mobilitätswende gestalten

José Luis Castrillo, Vorstand Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR)
Wir haben 2024 alle Hände voll zu tun, die Mobilitätswende zu gestalten! Digitale und attraktive Tarifangebote ebnen den Weg zum Mobilitätswandel: Allein im VRR sind ca. 1,3 Mio. Menschen mit dem DeutschlandTicket unterwegs, dies bedeutet eine Steigerung bei den Stammkunden und -kundinnen von 27 %. Gelegenheitskunden und -kundinnen haben mit unserem digitalen eTarif eezy NRW-weit rund 2,2 Mio. Fahrten unternommen – Tendenz steigend. Diesen Markterfolg wollen wir weiter ausbauen und gemeinsam mit unseren Partnern eine leistungsfähige vernetzte Mobilität gestalten, die diesen Wandel fördert. Wir treiben die digitale Transformation voran und müssen beim DeutschlandTicket mit Bund, Land und Branche eine einheitliche Governance erarbeiten, insbesondere im Hinblick auf eine bundesweit faire Einnahmeaufteilung. Gleichzeit werden wir in ein integriertes Verkehrsangebot mit emissionsarmen Fahrzeugen, einer verlässlichen Fahrgastinformation und modernen Infrastruktureinrichtungen investieren – und das vor dem Hintergrund der enormen Bautätigkeit im NRW-Eisenbahnnetz.

Endlich Klarheit schaffen!

Tim Dahlmann-Resing; Vorstand Technik & Markt, VAG Nürnberg; Vizepräsident VDV
Die Fahrgastzahlen haben sich dank des Deutschlandtickets im letzten Jahr erholt – und liegen z. T. bereits über dem bisherigen Rekordjahr 2019. Nicht zuletzt hierdurch wird deutlich: Das Angebot von Bussen und Bahnen muss jetzt dringend weiter ausgebaut werden! Neben einer dauerhaft gesicherten und verlässlichen Finanzierung des Deutschlandtickets erfordert das insbesondere die Bereitstellung ausreichender Mittel für den im aktuellen Koalitionsvertrag verankerten Ausbau- und Modernisierungspakt. Dieser soll zwischen Bund, Ländern und Kommunen geschlossen werden, um bis 2030 das ambitionierte Ziel der Verdopplung der Fahrgastzahlen zu erreichen und damit klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Ohne entsprechende dauerhafte zusätzliche finanzielle Mittel werden die Kommunen und Landkreise vor Ort ihre Verkehre nicht ausbauen können! Denn die für deren Betrieb erforderlichen jährlich wiederkehrenden Kosten sind beträchtlich und können nicht allein aus den lokalen Haushalten gedeckt werden.
Gleichzeitig müssen die Verkehrsunternehmen und -Verbünde gemeinsam in digitale Lösungen investieren, um effizientere Strukturen zu schaffen und dadurch Kosten zu sparen. Dringend erforderlich sind auch schnellere Fortschritte in der Automatisierung, denn der Fachkräftemangel bremst die notwendige Verkehrswende – neben der fehlenden Finanzierung – bereits heute gehörig aus. Trotz alledem bleibt der Personalbedarf in den nächsten Jahren weiter hoch! Daher sollten wir uns noch gezielter als attraktive Arbeitgeber präsentieren: Ein geeignetes Recruiting und zeitgemäße Arbeitsbedingungen können uns bei der Positionierung im umkämpften Arbeitsmarkt helfen.

Ohne DB und ÖPNV geht es nicht

Jürgen Fenske, Vorsitzender des Vorstandes, Kölner Verkehrs-Betriebe AG i.R.; VDV-Ehrenpräsident
Bei allen wichtigen Fragen unserer Branche – Deutschlandticket, Antriebstechnologien, Fahrzeugindustrie oder Digitalisierung – sind zwei Herausforderungen von zentraler Bedeutung:
Wohin steuert die DB, und wie sieht die Finanzierung des Öffent-
lichen Verkehrs im nächsten Jahrzehnt aus?
Ohne eine befriedigende Antwort auf diese beiden Fragen wird es die vielfach beschworene Verkehrswende nicht geben. Die DB weiß selber, dass ihre Betriebsqualität äußerst dürftig ist. Enttäuschung und Vertrauensverluste beim Kunden gehen damit einher. Warum umsteigen, wenn der Zug gar nicht fährt oder äußerst unpünktlich ist? Das muß sich schnell ändern, was kein leichtes Unterfangen ist, da die Wurzel des Übels in einer überfälligen Sanierung der Infrastruktur steckt. Und diese Sanierung geht nicht über Nacht. Was Jahre auf Verschleiß gefahren wurde, kann nicht innerhalb einer Woche repariert werden. Umso wichtiger ist trotz Haushaltskrise die Sicherung der zugesagten Investitionsmittel ins deutsche Schienennetz, die Nutzung der Fortschritte bei Planungs- und Genehmigungszeiten und das zügige Arbeiten auf den zahlreichen Baustellen. Nur dann kann sich die Bahn aus ihrem Tal herausarbeiten und Motor der Verkehrswende werden. Eine Alternative gibt es nicht. Ohne Bahn geht es nicht.
Auch nicht ohne kommunalen ÖPNV, der den weitaus größten Teil der Kunden im deutschen Öffentlichen Verkehr stellt. In den letzten Jahren gab es große Fortschritte, ob die Verdreifachen der GVFG-Mittel oder die Überarbeitung der Standardisierten Bewertung, aber das alles reicht leider nicht, um die selbst gesteckten Verkehrs- und Klimaziele zu erreichen. Der politische Auftrag lautet „Wachstum des ÖPNV“, wenn die Politik diesen Auftrag ernst meint, muß sie mehr Geld für Investitionen und Betriebsausgaben zur Verfügung stellen. Sonst bleibt es eine wohlfeile Forderung.
Wie angespannt die Lage ist, zeigen erste interne Überlegungen zur Reduzierung des öffentlichen Verkehrsangebotes. Vorsicht an der Bahnsteigkante, will man da rufen. Trotz Schuldenbremse muß es in den öffentlichen Haushalten möglich sein, durch klare Priorisierung der Aufgaben die Mittel für die Verkehrswende bereitzustellen. Diese Herausforderung ist im neuen Jahr anzunehmen.

Wettbewerb um kluge Köpfe plus technologische Unterstützung

Dr. Jürgen Greschner, Vorstand init SE und Geschäftsführer INIT GmbH
Auch im Jahr 2024 werden die Herausforderungen für unsere Branche nicht geringer. Wie die Zulieferindustrie sehen sich Verkehrsunternehmen stärker denn je damit konfrontiert, immer mehr Projekte mit gleicher oder geringerer Personalstärke zu bewältigen. Die Pensionierungswelle rollt, und neues (Fahr-)Personal ist schwierig zu gewinnen. Gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wie unsere ÖPNV-Branche im Wettstreit um kluge Köpfe und nicht zuletzt um das Fahrpersonal wettbewerbsfähiger werden kann, ist eine der zentralen Aufgaben der kommenden Jahre.
Gut, dass sich diese Herausforderungen mit technologischer Unterstützung für die Verkehrsunternehmen angehen lassen – etwa mit der Automatisierung von Aufgaben und Prozessen, Assistenzsystemen oder auch mit Sprachassistenten, die Mitarbeitende mit eingeschränkten Deutschkenntnissen unterstützen. Und natürlich arbeitet die Branche mit vollem Einsatz auf das Ziel des autonomen Fahrens im regulären Betriebsalltag hin.
Die zweite große Herausforderung liegt, wenig verwunderlich, auf der monetären Seite. Zwar besteht über das Fernziel wenig Diskurs – alle Akteure wünschen sich attraktive, zuverlässige und bezahlbare Mobilitätsangebote jenseits des privaten PKW. Doch der Weg dahin ist steinig. Das Deutschlandticket und weitere Sparangebote haben für viele Bürger den ÖV preislich attraktiver gemacht. Aber leider führt die Finanzierung dieser Nutzungsanreize zu einer schwierigen finanziellen Situation beim Ausbau des Angebotes. Doch neben günstigen Fahrpreisen entscheidet gerade die Zuverlässigkeit und Qualität des Serviceangebotes sehr stark darüber, ob Bürger zum Öffentlichen Verkehr wechseln.
Auch hier kann die weitere Digitalisierung entscheidende Beiträge liefern. Es gilt die bestehende Infrastruktur und Kapazität optimal ausnutzen: Fahrgastlenkung basierend auf historischen Daten und Echtzeitfahrgastzähldaten, die nachfrageorientierte Optimierung von Takten, Umläufen und Gefäßgrößen oder auch Bedarfsverkehrskonzepte sind dafür gute Beispiele.

Die kompletten Aussagen lesen Sie in der Nahverkehrs-praxis 1-2024.

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