Das lange erwartete „Leistungskostengutachten 2.0“ des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurde erstmals in München auf der Veranstaltung „SZ Gipfel Salon: Mobilitätswende ausgebremst?“ präsentiert. Es zeigt den Finanzierungsbedarf nach Berechnungen des VDV bis 2040 und sei als „Beitrag der Branche zum Modernisierungspakt der Bundesregierung“ vor der Sondersitzung der Verkehrsministerkonferenz (VMK) am Freitag, den 27. Juni, zu verstehen. Auf diesem sollen die Weichen nicht nur für die Zukunft des Deutschlandtickets gestellt werden.
Noch letzte Woche auf der Jahrestagung des VDV in Hamburg mahnte der neue Verkehrsminister Patrick Schnieder (SPD) per Videobotschaft an, die Branche „müsse jetzt mal sagen, was genau sie in Zukunft leisten kann und was uns das kosten soll.“ Die umfangreiche Antwort auf diese Frage kam nun genau eine Woche später bei der Veranstaltung, die in Kooperation mit der Initiative „Zukunft Nahverkehr“ stattgefunden hat. Ein Heimspiel für VDV-Präsident Ingo Wortmann und Josef Rott, Abteilungsleiter Vernetzte Mobilität und ÖPNV im Bayerischen Verkehrsministerium, der voll des Lobes für die Vorschläge des VDV war.
Klarer Fahrplan für die Modernisierung und den Ausbau des ÖPNV
Mit dem Ende 2024 vom VDV bei den Beratungsunternehmen Ramboll Management Consulting (RMC), PwC Deutschland (PWC) und Intraplan (ITP) in Auftrag gegebenen Gutachten zur Finanzierung der Leistungskostenim ÖPNV, das in seinen Grundzügen von Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV des VDV skizziert wurde, legt der VDV nach eigener Aussage einen „klaren Fahrplan für die Modernisierung und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland bis 2040“ vor. Dieser werde von den Verbänden „Bundesverband Schienen Nahverkehr (BSN) sowie dem Interessenverband „Mofair“ sowie nach eigener Aussage auch vom Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) mitgetragen – was den „gemeinsamen Kraftakt“ zeigt, den der VDV immer wieder beschwört.
In zwei sehr differenzierten, sich bei Bedarf ergänzenden, Szenarien – dem „Modernisierungsszenario“ als Status quo-Erhalt und dem ambitionierteren „Deutschlandangebot“ für eine deutliche Angebotserweiterung – zeige die Branche laut VDV, „wie ein zukunftsfähiger ÖPNV für alle Regionen erreichbar ist“. Zentrale Voraussetzung hierfür sei – und das ist keineswegs neu – „eine erhöhte und über 15 Jahre planbare Finanzierung durch Bund und Länder.“ Diese beiden Szenarien orientierten sich „unmittelbar an den verkehrspolitischen Zielen der neuen Bundesregierung und an den Realitäten der Branche“, so der VDV. Im Koalitionsvertrag heisst das konkret und knapp: „Status quo sichern“ – „Steigende Kosten auffangen“ – „Spielräume für neue Verkehre schaffen“.
„Die Situation im ÖPNV ist vielerorts angespannt: steigende Kosten, Fachkräftemangel und ein massiver Modernisierungsstau gefährden die Qualität und Quantität des Angebots. Mit den heute zur Verfügung stehenden Geldern ist nicht mehr möglich, daher kann es kein „Weiter so“ geben“, so VDV-Präsident Ingo Wortmann. Zu den steigenden Kosten zähle neben anderen auch eine „nachgeholte Inflation der letzten zehn Jahre“, die mithin auf 0,6 Milliarden Euro zusätzlich pro jahr beziffert werden.
Aktuell finanzierten Bund, Länder und Kommunen den deutschen ÖPNV laut VDV mit jährlich rund 26 Milliarden Euro, um „seinem gesamtgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auftrag“ gerecht werden zu können. Das Gutachten beziffert den zusätzlichen jährlichen Finanzierungsbedarf für die beiden Szenarien dagegen wie folgt deutlich höher:
- „Modernisierungsszenario“: durchschnittlich 1,44 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr (insgesamt 49 Mrd. Euro im Jahr 2040) – zur Sicherung und qualitativen Verbesserung des heutigen ÖPNV-Angebots.
- „Deutschlandangebot“: durchschnittlich 3,36 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr (auf insgesamt rund 80 Mrd. Euro im Jahr 2040) – für einen umfassenden Ausbau in Fläche und Taktung mit erheblichem Fahrgastzuwachs auf bis zu 21 Mrd. im Jahr 2040 (80 Prozent mehr als 2024). Dies setze allerdings auch „weitere verkehrspolitische Maßnahmen außerhalb des ÖPNV“ voraus (z. B. restriktivere Maßnahmen im motorisierten Individualverkehr). Ohne solche rechnet das vom VDV präferierte Szenario lediglich mit einer Steigerung auf 15,6 Mrd. Fahrgäste oder 30 Prozent Steigerung.
„Wer ein leistungsfähiges, flächendeckendes und sicheres Angebot will, muss heute die Weichen dafür stellen. Mit dem Deutschlandangebot zeigen wir, was möglich ist – mehr Linien und flexible Angebote, kürzere Takte, besser erreichbare Regionen. Dafür braucht es aber den politischen Willen und entsprechende Finanzmittel“, betont Wortmann auf einer anschließenden Podiumsdiskussion mit Ministeriumsvertreter Josef Rott, Jan Schilling, Vorstand Marketing der DB Regio AG sowie Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbandes SchienenNahverkehr (BSN) und Sprecher der Geschäftsführung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG).
Gutachten als Grundlage für den ÖPNV-Modernisierungspakt
Ziel des Gutachtens sei es, eine fachlich fundierte Grundlage für den von der Bundesregierung angekündigten ÖPNV-Modernisierungspakt zu liefern und sich dabei an den Zielen des Koalitionsvertrags zu orientieren. Beide Szenarien setzen auf Digitalisierung, emissionsfreie Antriebe, Automatisierung und effiziente Strukturen in den Verkehrsunternehmen. Auf der VDV Jahrestagung letzte Woche forderte der Verband für den Übergang zum Regelbetrieb typgeprüfter, serienmäßiger Autonomer Fahrzeuge und Robotaxis insgesamt drei Mrd. Euro „Anschubfinanzierung“. Unklar bleibt, wie diese im neuen Gutachten bereits eingerechnet sind.
Während das Modernisierungsszenario vor allem den Status quo sichere und qualitativ verbessere, gehe das Deutschlandangebot darüber hinaus: Es schaffe erkennbar neue Kapazitäten und verbessere die Erschließung im gesamten Bundesgebiet – unabhängig vom Wohnort – Stichwort „Anpassung der Lebensverhältnisse“. Das „Deutschlandangebot“ verbessere die Erschließung in ganz Deutschland im Schnitt um eine neu geschaffene „Güteklasse“ aller Mobilitätsangebote nach Schweizer und österreichischem Vorbild, von einer Durchschnittsnote 3,8 heute bis zu einer Note 2,5 im Jahr 2040 und das “mit erheblichem Wachstumspotenzial bei der Nachfrage”. Diese Güteklassen beziehen sich auf die räumliche Erschließung und auf das Fahrplanangebot, und bieten gerade in Bayern noch einige gelbe Flecken der Unterversorgung. Dies könne umso attraktiver und wirtschaftlicher gestaltet werden, je dichter die Besiedlungsstrukturen sind.
„Wir reden nicht über ÖPNV de luxe, sondern über flächendeckend funktionierende Daseinsvorsorge und die Erreichung von Klimaschuzzielen im Verkehrssektor. Öffentliche Mobilität muss zuverlässig, sicher und für alle bezahlbar sein – und das überall. Mit dem Gutachten legen wir ein realistisches und gleichzeitig ambitioniertes Konzept vor, wie das bis 2040 gelingen kann“, so Wortmann weiter. Dabei gehe es ihm nicht unbedingt um ein scharfes „Entweder-Oder“ zwischen den Szenarien, so Wortmann auf unsere Nachfrage, man könne auch erstmal mit dem kleinen Szenario beginnen, und später Bestandteile des großen Szenarios nachlegen.
Der VDV betont weiterhin, dass auch die Branche selbst „einen wesentlichen Eigenbeitrag leisten wird: durch mehr Effizienz, Standardisierung und bessere Strukturen in Betrieb und Verwaltung“ – letzteres wurde in Form einer Kritik an den 178 in Deutschland existierenden Verbünden durch Thomas Prechtl, Präsident des Bundesverbandes SchienenNahverkehr (BSN) verdeutlicht. Eine Kritik, die immer wieder auch von seiten der Berliner Politik zu hören ist, aber in den beiden Szenarien des Gutachten selbst keinerlei Rolle spielt.
Ohne eine verlässliche Finanzierung durch Bund und Länder könne die Transformation nicht gelingen. „Wir wissen, dass vor uns als Branche viel Arbeit liegt. Die Ziele aus den Szenarien zu erreichen, entspricht unserem Selbstverständnis. Wir sind bereit dazu, den Weg der Transformation konsequent weiterzugehen. Den dafür notwendigen Rahmen muss die Politik jetzt setzen“, so Wortmann abschließend.
Weitere Informationen und die Kurzfassung des Gutachtens gibt es unter: www.vdv.de/oepnv2040