„T-Bane“, Tunnelbahn, nennen die Osloer liebevoll ihre U-Bahn, obwohl nur 17 von 101 Stationen unter Tage liegen. Gegründet 1928, transportieren heute 115 Züge täglich knapp 350.000 Passagiere auf einem 86 km langem Gleisnetz. Um die ambitionierten Klima-Ziele der Stadt Oslo zu erreichen – bis 2030 die CO2-Emissionen um 95% reduzieren und dabei zu einer autofreien Stadt werden – leistet das U-Bahn-Netz einen wichtigen Beitrag. Auf dem bislang Erreichten kann sich aber Sporveien, der Betreiber der U-Bahn, nicht ausruhen: Denn wenn die Bewohner der norwegischen Hauptstadt auf das Auto verzichten sollen, brauchen sie eine attraktive und immer leistungsfähigere Alternative – wie die T-Banen.
Stadt, Verkehrsverbund und Betreiber investieren deshalb seit Jahren in den klimafreundlichen Ausbau des U-Bahn-Netzes. Die Zugflotte wurde seit 2007 modernisiert und ist heute komplett mit den weißen, energieeffizienten Zügen der Baureihe MX3000 von Siemens ausgestattet. Neue Linien und Stationen werden geplant und umgesetzt, wie der neue Bahnhof Løren der Linie 4, der 2015 dem Verkehr übergeben wurde. Aktuell arbeitet Sporveien an einer Taktverdichtung für den zentralen Innenstadt-Tunnel, den sich alle Linien teilen: Künftig sollen 9-10 Züge pro 15 Minuten das Nadelör passieren können, was einen Kapazitätszuwachs von bis zu 25% bedeutet.
Digitalisierung in den Werkstätten
Doch auch hinter den Kulissen wird die Modernisierung des U-Bahn-Systems vorangetrieben. Digitalisierung ist hier das Motto, um Planungsprozesse zu automatisieren, Fehlleistungen zu reduzieren, und Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen. Zahlreiche digitale Systeme sind bei Sporveien bereits im Einsatz, vom digitalen Fahrplan bis zur digitalen Wartungs-Akte für die Züge. Digitale Systeme können aber nur die Informationen verarbeiten, mit denen sie gefüttert werden. Eine Lücke bildeten hier die Depots und Abstellplätze. Bislang wurden die Zug- und Wartungsplanung manuell durchgeführt – einfach deshalb, weil die Position der Züge nicht automatisch mit dem digitalen Werkstattsystem abgeglichen werden konnte. Manuelle Aufwände, hektische Telefonate und unnötige Suchvorgänge gehörten zum Alltag der Mitarbeiter, was die Bereitstellung des rollenden Materials behinderte. Diese Suchvorgänge kosteten eine Menge wertvoller Zeit, wenn Mitarbeiter in der Fahrzeughalle einen speziellen Zug suchen mussten.
Abhilfe schafft nun das Echtzeit-Ortungssystem Simatic RTLS von Siemens. Dazu wurden alle Züge mit Transpondern und Antennen ausgestattet, die über sogenannte RTLS-Gateways fortlaufend und vollautomatisch lokalisiert werden können. Dazu wird die Laufzeit der Funksignale zu den Transpondern bestimmt und zwischen verschiedenen Gateways verglichen – in Sekundenbruchteilen. Alle Informationen werden über den Simatic Locating Manager in die Visualisierung in den Werkstätten von Sporveien eingespeist und mit anderen Systemen, zum Beispiel der Wartungsplanung für die Züge, kombiniert. Auf großen Displays können die Mitarbeiter nun die Position jedes Zuges in jedem Betriebshof sehen und alle weiteren benötigen Informationen (Was ist zu tun? Wann muss der Zug wieder auf die Strecke? Wann ist der nächste Service fällig?) abrufen.
Lokalisierungssystem versorgt die IT-Systeme mit Echtzeitdaten
Bereits diese Transparenz ist für Christian Grønnerød, Produktmanager RTLS bei Sporveien, ein wichtiger Vorteil für das Ortungssystem. „Alleine die Visualisierung der Zugbewegungen in den Depots und die Kombination mit allen anderen Systemen erleichtert die Arbeit enorm. Statt verschiedener Programme, Papierdokumentation und dem Griff zum Telefon haben die Mitarbeiter jetzt alles auf einen Blick und Mausclick zur Verfügung, was sie für ihre Aufgaben brauchen!“, freut sich Grønnerød.
Doch damit nicht genug. Die verbesserte und fehlerfreie Planung und Bereitstellung der Züge führen dazu, dass die Service-Intervalle maximal ausgeschöpft werden können – was die Auslastung der Flotte verbessert und Kosten senkt. Auch die Auflösung etwaiger Störungen wird deutlich vereinfacht, weil auf einem Blick zu sehen ist, welcher Zug in welchem Depot verfügbar ist. Und das Projektteam denkt bereits über weitere Anwendungen nach – der Appetit kommt ja bekanntlich mit dem Essen.
Die ersten Ideen für die Einführung von RTLS gehen bis 2017 zurück. Erste Proof-of-Concept-Tests zeigten früh, dass die Siemens-Lösung besonders gut für die Anforderungen von Sporveien geeignet ist. Für Simatic RTLS von Siemens sprach zunächst die Möglichkeit, das System im Außen- und Innenbereich zu betreiben. Auch die Skalierung des Systems ist ein wichtiger Vorteil: Somit können die Umsetzung im Projekt Schritt für Schritt vorgenommen und dennoch frühzeitig Erfahrungen im Realbetrieb gesammelt werden. Schließlich ist die spezielle Industrietauglichkeit der Komponenten ein entscheidendes Argument: Antennen und Transponder sind robust genug für den tagtäglichen Einsatz in den Zügen mit Temperaturschwankungen und Vibrationen, und die Schnittstellen der Transponder erlaubt die Einspeisung von Signalen aus den Zügen (Fahrtrichtung, Kuppelstatus). Inzwischen sind rund 250 Gateways im Einsatz; jeder Zug wurde zudem mit zwei Transpondern und Antennen (an jedem Führerstand einer) ausgerüstet.
Optimaler Projektverlauf
Bjørn Stokkeland verantwortete als Projektleiter des norwegischen Consulting-Unternehmens Bouvet die Einführung von Simatic RTLS. Neben der Auswahl des Technologie-Lieferanten mussten zahlreiche weitere Aspekte geklärt werden, vom Umbau der Züge bis zu den IT-Schnittstellen. Die eigentliche Implementierung konnte dank einer klaren Erwartung zu den Ergebnissen und einer agilen Vorgehensweise mit definierten Projekt-Sprints in wenigen Monaten abgeschlossen werden. Und das obwohl mehrere Partner an dem Projekt beteiligt waren: Siemens lieferte die RTLS-Technologie und rüstete die Züge mit Transpondern und Antennen aus, ein lokales Unternehmen montierte die Infrastruktur in den Betriebshöfen, und Bouvet kümmerte sich im Rahmen der Software- und Systementwicklung um die Visualisierung und die Integration. Zudem unterstützen RTLS-Spezialisten von Siemens per Live-Schaltung aus Chemnitz. Stokkeland zeigt sich beeindruckt: „Ich habe in meiner langen Karriere noch kein Projekt erlebt, das so problemlos umgesetzt wurde. Zahlreiche Stakeholder konnten in den agilen Entwicklungsprozess eingebunden werden, vor allem die künftigen Anwender. Das war eine tolle Leistung aller Beteiligten!“ Und Christian Grønnerød ergänzt: „Wir sind wirklich sehr zufrieden mit der Technologie als auch dem Projektmanagement seitens Siemens. Das hat sich als wichtiger Vorteil für uns herausgestellt.“
Vom ersten Tag an bewährt
In der Praxis hat sich Simatic RTLS vom ersten Tag an bewährt. Einerseits waren die Sporveien-Mitarbeiter von der hohen Lokalisierungs-Präzision beeindruckt. „Wir sind bis auf etwa 20 cm genau“, berichtet RTLS-Produktmanager Grønnerød: „Das brauchen wir natürlich nicht für die Züge, die ja deutlich größer sind“. Diese Genauigkeit von Simatic RTLS schafft aber die Voraussetzung, um künftig womöglich weitere Werkstatt-Prozesse auf Echtzeit-Lokalisierung umzustellen – schließlich können die installierten Gateways als Infrastruktur noch viel mehr lokalisieren als nur einige Züge. Auch die Verfügbarkeit des Systems übertrifft die Erwartungen von Sporveien bei weitem, wozu auch die in die Visualisierung integrierte Status-Überwachung der RTLS-Infrastruktur beiträgt.
Auch die Anwender in den Werkstätten konnten schnell für die neue Technik begeistert werden. „Oft gibt es ja bei solchen Projekten eine Menge Abstimmungsaufwand und Änderungswünsche“, weiß Projektleiter Stokkeland. „Aber bei RTLS waren sofort alle Kollegen von den Vorteilen überzeugt.“ Schließlich ermöglichen die neuen Systeme, dass sich die Mitarbeiter auf ihre tatsächlichen Aufgaben konzentrieren können, ohne Zeit für Suchvorgänge, Telefonate oder unnötige Wege zu verschwenden. „Die Akzeptanz ist wirklich enorm“, so Stokkeland.
Simatic RTLS – Beitrag für die Verbesserung der Nahverkehrsleistung
Pünktliche Bereitstellung von Zügen, Reduzierung der laufenden Kosten für Wartung und Service und die Erhöhung der Kapazitäten in den Depots: Für Sporveien ist Simatic RTLS eine weitere, wichtige Komponente zur stetigen Verbesserung der Nahverkehrsleistung. Damit die Osloer Bürger noch einen Grund mehr haben, das Auto mit der U-Bahn einzu-
tauschen.