Der Verkehr in einem so dicht besiedelten Gebiet wie dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) befindet sich in einem Zeitenwandel: Er muss dem kontinuierlich steigenden Mobilitätsbedarf und gleichzeitig anspruchsvollen Klima- und Umweltschutzzielen gerecht werden. Dies gelingt nur, wenn man die mobile Zukunft nicht mehr länger als Fortschreibung der Gegenwart begreift, sondern im Rahmen einer Verkehrswende den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stärker in den Fokus rückt. Digitale Technologien bieten die Chance, Bus und Bahn noch effizienter mit den weiteren Verkehrsmitteln des Umweltverbundes zu vernetzen und tariflich neue Wege zu gehen. Dabei soll der Nahverkehrstarif einfach strukturiert, preislich attraktiv und intuitiv nutzbar sein, um möglichst vielen Menschen den Zugang zum ÖPNV zu erleichtern. Gleichzeitig muss er einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, den Aufwand der Verkehrsunternehmen zu kompensieren.
Die Einnahmen sind in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, die Fahrgastzahlen und der ÖPNV-Anteil im Modal-Split stagnieren hingegen. Gleichzeitig wird der Aufwand für die Verkehrsunternehmen in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen. Denn um den Mobilitätsbedürfnissen der Fahrgäste gerecht zu werden und tatsächlich mehr Menschen für den Öffentlichen Verkehr gewinnen zu können, müssen die Leistungen und Kapazitäten in allen Bereichen ausgeweitet werden. Bereits seit vielen Jahren entwickelt der VRR den bestehenden Nahverkehrstarif strukturell weiter, hält differenzierte Angebote für unterschiedliche Kundengruppen bereit und nutzt digitale Technologien, um die verschiedenen Verkehrsmittel noch effizienter zu verknüpfen.
Durch die Kombination von Information, Tarif, Vertrieb und Mehrwertdiensten in Anwendungen für Smartphones oder Tablets können Fahrgäste einfach und flexibel zwischen den verschiedenen Mobilitätsangeboten und Services wählen. Gemeinsam mit dem NRW-Verkehrsministerium verständigten sich die nordrhein-westfälischen Zweckverbände sowie die Verkehrsverbünde und -unternehmen darauf, den digitalen Wandel voranzutreiben. Eine der zentralen Herausforderungen ist es dabei, die verschiedenen Mobilitätsangebote in ein zentrales, digitales Ticketing zu integrieren. Je besser dies gelingt, desto attraktiver werden öffentliche Mobilitätsangebote für Menschen, die bislang noch mit dem Auto unterwegs sind.
Praxistest nextTicket
Im VRR wurde solch ein digitaler Zugang zum Öffentlichen Personennahverkehr im Jahr 2018 erfolgreich getestet. Im Rahmen des Praxistests nextTicket konnten Fahrgäste einen neuen elektronischen Tarif direkt über ihr Smartphone nutzen. Hierzu benötigten sie keinerlei Tarifkenntnisse, sondern lediglich die nextTicket-App. Fahrgäste konnten spontan Bus und Bahn nutzen, ohne sich vorher auf eine bestimmte Route festgelegt zu haben. Der hinterlegte elektronische Tarif orientierte sich an den tatsächlich mit Bus und Bahn zurückgelegten Kilometern und setzte sich aus einem Grundpreis und einem Preis je gefahrenem Kilometer zusammen. Die aus dem VRR bekannten Preisstufen spielten keine Rolle mehr. Solche Tarifmodelle sind nicht nur einfach, sondern auch gerecht, denn die Fahrgäste zahlen immer nur die Leistungen, die sie tatsächlich auch in Anspruch nehmen.
Neues Fahrgastinformations- und Ticketsystem
Dem Wunsch der Fahrgäste nach einem unkomplizierten und intuitiven Zugang zum Nahverkehr möchten der VRR und die benachbarten NRW-Zweckverbände auch zukünftig gerecht werden. Deshalb entwickeln sie aktuell ein Fahrgastinformations- und Ticketsystem mit Check-in/Be-out-Funktion (CiBo). Der Kunde benötigt auch hierbei keinerlei Tarif- oder Ticketkenntnisse mehr. Das Besondere an solchen Systemen ist, dass der Kunde die nötige Hardware, also das eigene Smartphone, mitbringt und die Verbünde lediglich die erforderliche Software zur Verfügung stellen. Dies ist für alle Beteiligten gewinnbringend. Für Fahrgäste, weil sie das Zugangsmedium zum ÖPNV ganz selbstverständlich mit sich führen und sich somit spontan für eine Fahrt mit Bus und Bahn entscheiden können. Für Verbünde und Verkehrsunternehmen, weil eine aufwendige und wartungsintensive Feld-Infrastruktur nicht zwingend notwendig ist. Denn die genaue Position des Kunden in Bus und Bahn soll in der Regel über sein Mobiltelefon erfasst werden. Zusätzliche Erfassungsgeräte in den Fahrzeugen oder an den Haltestellen und Bahnhöfen können jedoch ergänzt werden, um die Fahrgäste noch präziser einem Bus, einer Bahn oder einer Station zuzuordnen.
Das CiBo-System wird so konzipiert, dass es in reguläre oder bestehende Apps integriert werden kann. So können Nutzer zukünftig ganz bequem über eine Oberfläche auf alle Funktionalitäten rund um den ÖPNV zugreifen. Über die CiBo-App erhält der Fahrgast Zugriff auf das Check-in/Be-out-System. Die Applikation erfasst den Kunden während seiner Fahrt, speichert die Fahrtberechtigung und macht diese sichtbar, um eine Ticketkontrolle zu ermöglichen. Außerdem bietet die Anwendung den Fahrgästen Detailinformationen zu ihrer aktuellen Reise: Sie zeigt den Routenverlauf sowie alle Reiseparameter an. Über die App hat der Kunde darüber hinaus Zugriff auf bereits vergangene Reisen und kann somit jederzeit nachvollziehen, wann er wohin gefahren ist. Die App wird so konzipiert, dass sie möglichst wenig Energie und Daten verbraucht, denn dies wir mit entscheidend dafür sein, ob Kundinnen und Kunden das System akzeptieren und als Bereicherung ihrer Mobilität empfinden. Das neue System wird grundsätzlich als Check-in/Be-out-System angelegt, soll aber auch das aktive Ein- und Auschecken (Check-in/Check-out) ermöglichen. Also eine Prozedere, das all denjenigen bereits vertraut ist, die 2018 am Praxistest nextTicket teilgenommen haben.
Gemeinsam mit den Verkehrsunternehmen und den politischen Gremien des VRR strebt der Verbund zeitnah an, einen eTarif parallel zum bisherigen Tarif am Markt einzuführen. Wobei der VRR auch in den in den kommenden Jahren tarif-strukturelle Einzelmaßnahmen und allgemeine Preismaßnahmen umsetzen wird. Des Weiteren gilt es, Tarifangebote zu entwickeln, die insbesondere dem Bedarf von Nahverkehrskunden in nicht so stark urbanisierten und ländlicheren Gebieten gerecht werden sowie pauschale und verbundweit gültige Tarifprodukte weiter zu etablieren.
Sehr zufrieden blickt der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr auf das zum 1. Januar 2018 eingeführte netzweit gültige YoungTicketPLUS. Die bisherigen Verkaufszahlen haben sich sehr positiv entwickelt. Wir konnten den seit Jahren anhaltenden Absatzrückgang stoppen, teilweise sogar umkehren und verzeichnen seit dem Start des Ausbildungsjahres im September 2018 steigende Einnahmen. Mit dem Ticket haben wir ein Angebot geschaffen, das dem Bedarf der Auszubildenden entspricht.
Mobilität von morgen als Gemeinschaftsaufgabe
Einfach, transparent und komfortabel: Diese Eigenschaften neuer elektronischer Tarif- und Ticketingmodelle sind es, die Gelegenheitskunden dazu bewegen, öffentliche Verkehrsmittel anstelle des eigenen Pkw zu nutzen. Und ein attraktives öffentliches Verkehrsangebot, das flexibel die unterschiedlichen Verkehrsträger zu einer lückenlosen Tür-zu-Tür-Mobilität kombiniert. Davon sind wir überzeugt.
Dies alles kostet jedoch Geld. Kosten, die nicht allein über Fahrgeldeinnahmen refinanziert werden können, denn es ist nicht Aufgabe der Kunden, die Herausforderungen der Verkehrswende zu stemmen. Vielmehr brauchen wir einen Schulterschluss zwischen allen Nahverkehrsakteuren und der Politik, die auf allen Ebenen die nötigen Rand- und Rahmenbedingungen schaffen müssen. Bund und Land müssen die Finanzierung der Nahverkehrsleistungen dauerhaft sichern und im erforderlichen Maße in Innovationen, Infrastruktur, Fahrzeuge und Betrieb investieren.

